3 Empfehlungen, 1 Neuentdeckung, 1 Anmerkung in eigener Sache
und 1000 Dank
1. Von Wohnungslosigkeit, toxischer Männlichkeit & ‚Wohnraum ist keine Ware‘
Auf meinen „Streifzügen“ durch die feministische(n) Blogosphäre(n) bin ich im Juni auf den Blog FeministInProgress von Sebastian Tippe gestoßen. Sebastian ist Pädagoge und bloggt u.a. zu toxischer Männlichkeit. Er hat dazu kürzlich auch ein Buch veröffentlicht, das ich jedoch (noch;) nicht kenne. Ich finde den Blog spannend und möchte euch den Beitrag vom 27.6.21 empfehlen, in dem es um die Frage geht, warum vor allem Männer wohnungslos werden und inwiefern das etwas mit stereotypen Bildern von „dem starken, unabhängigen Mann“ und mit toxischer Männlichkeit zu tun hat. Sebastian geht im Beitrag u.a. auf Beratungs- und Unterstützungsangebote der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe ein und kommt zu dem Schluss: „Für Beratungsstellen, die mit von Wohnungslosigkeit bedrohten oder betroffenen Männern arbeiten, ist es wichtig, Wissen über männliche Geschlechtervorstellungen und die damit einhergehenden Erwartungen und daraus resultierenden Probleme zu besitzen und einzubeziehen, um daraus Hilfen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.“
Neben diesen männlichkeits-kritischen Begründungen dafür, weshalb im Vergleich zu Frauen mehr Männer wohnungslos werden – von weiteren Geschlechtern ist hier nicht die Rede, ich vermute, dass die Statistik, auf die er sich bezieht, nur zweigeschlechtlich ausgerichtet ist und also Männer und Frauen erfasst – nennt er auch die Gründe, die geschlechterübergreifend zu Wohnungslosigkeit führen können: „Armut sowie fehlender (bezahlbarer) Wohnraum“.
Fehlender bezahlbarer Wohnraum verschärft bekanntermaßen auch die Situation von Frauen* und Kindern, die häusliche Gewalt erleben. Sie sind gezwungen, in gewalttätigen Beziehungen zu verbleiben, weil sie keine eigene Wohnung finden und es nicht ausreichend Plätze in Frauenhäusern gibt. „Ein Dach über dem Kopf“ bzw. „bezahlbare Wohnungen für alle“ ist deshalb in meinen Augen auch eine feministische Forderung. An dieser Stelle sei kurz an die feministische Aktion „Wohnraum ist keine Ware“ erinnert, bei der vor einem Jahr in Solidarität mit dem FLINTA-Wohnprojekt Liebig34 am „Dreikäsehoch“ bzw. Moleule Man in der Berliner Spree ein Transpi und eine Regenbogenfahne entrollt wurden. Ein Foto von der Aktion findet ihr hier.
Apropos „Wohnraum ist keine Ware“: lasst uns feiern, dass das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ erfolgreich war! Nun können wir hier in Berlin beim Volksentscheid am 26.September unser „ja“ dafür geben, dass – auf der Grundlage von Artikel 15 des Grundgesetzes – über 240.000 Wohnungen von großen Wohnungsgesellschaften wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius u.a. vergesellschaftet werden. Es ist zwar ärgerlich und problematisch, dass nur diejenigen Berliner*innen, die wahlberechtigt sind, sich am Volksentscheid beteiligen können, womit u.a. viele Berlinerinnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit von der demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Ohne Frage ist das Ziel des Volksentscheids in meinen Augen unterstützenswert. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ schreibt dazu auf ihrer Website:
„Mit der Vergesellschaftung wollen wir zwölf Prozent der Berliner Mietwohnungen der Spekulation entziehen und dauerhaft bezahlbare Mieten ermöglichen. Kein fette Dividende mehr für Aktionär:innen, die aus unseren Mieten bezahlt werden muss. Keine Verdrängung mehr von Leuten, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Nur wenn wir Wohnraum wieder gemeinnützig verwalten, können wir die Wohnungskrise beenden. Unterstütze unser Volksbegehren und hilf uns dabei, Berlin zu retten. Denn unsere Stadt ist eine Stadt für alle!“
2. International Women* Space: ein Raum für Austausch und Organisierung
Ein zweiter Post, auf den ich eure Aufmerksamkeit lenken möchte, ist ein Interview mit Aktivist_innen vom International Women* Space (IWS), einer Selbst-Organisation von geflüchteten FLINTA* und ihren Unterstützerinnen. Im Interview erzählen sie davon, wie der International Women Space als realer physischer Raum im Jahr 2012 startete: „Es war ein Ort, der von und für geflüchtete Frauen* und Migrantinnen geschaffen wurde: Frauen, für die es wenig Trennung zwischen dem Politischen und dem Privaten gibt; Frauen, für die ein sicherer und politischer Raum eine Notwendigkeit ist.“ Sie nutzten diesen physischen „shared space“, um sich auszutauschen, sich zu organisieren und auch um andere geflüchtete FLINTA, die in Gemeinschaftsunterkünften an weit abgeschiedenen Orten von grundlegenden Infrastrukturen und Beratungsangeboten ausgeschlossen sind, zu unterstützen. Zum physischen Space kam dann bald der virtuelle Space, die Internetpräsenz, der Blog und andere Formate dazu.
Wer in Wohnheimen und Sammellagern lebt, hat oft kaum bis keine Privatsphäre, kein Zimmer für sich allein und lebt isoliert von der Gesellschaft. Deshalb organisiert die „Break Isolation Group (BIG)“ des IW*S seit 2019 Besuche und Workshops in den Lagern, um geflüchteten Frauen* und Migrantinnen zu empowern.
Da seit Beginn der Corona-Pandemie die Lager nicht mehr besucht werden konnten und die FLINTA* in den Unterkünften wegen fehlender Technik, Internetzugang und Netzabdeckung kaum Möglichkeiten hatten, online-Angebote zu nutzen oder sich virtuell mit anderen zu treffen, startete IWS die Lager Reports, in denen die Bewohnerinnen der Lager von der Situation dort berichten, und den Podcast IWS Radio als neue Austauschformate.
Im Interview erzählen die Aktivistinnen* vom International Women* Space (IWS) von ihren Strategien gegen die europäische Asylpolitik und das deutsche System der Sammellager, von ihren Buch-Projekten mit biografischen Erzählungen geflüchteter FLINTA* und Migrantinnen*, von ihrer regionalen, bundesweiten und internationalen Vernetzung und von neuen Projekten wie z.B. der Errichtung eines Büros in Eisenhüttenstadt, wo sich eine zentrale Aufnahmeeinrichtung für Menschen im Asylverfahren befindet. Über das Büro sollen den neu hier Ankommenden „Ressourcen und Informationen zu Recht, Gesundheit, Beschäftigung, Wohnen und anderen Angelegenheiten“ bereit gestellt werden, denn die Pandemie habe „sehr deutlich gemacht, dass wir in den Lagern präsent sein müssen, um die von ihnen geschaffene Isolation tatsächlich zu durchbrechen.“
Sie problematisieren auch, dass „COVID-19 die Situation vieler geflüchteter Frauen und Migrantinnen generell verschlechtert (hat): erhöhte körperliche und psychische Gesundheitsrisiken, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie der Autonomie von Frauen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, wo sie manchmal kleine Räume mit einem gewalttätigen Partner teilen oder in Vollzeit auf die Kinder aufpassen müssen, ohne Zugang zu Kindergärten oder Schulen. Darüber hinaus ist die Zahl der Abschiebungen in dieser Zeit gestiegen. (…) Bisher haben wir in Deutschland keine einzige Studie über Gewalt gegen Migrantinnen und geflüchtete Frauen im Kontext der Pandemie gesehen.“
Auf dem Blog des IW*S findet ihr das supe informative und ermutigende Interview, das anlässlich der Verleihung des Amazingy-Charity-Preises an den IW*S geführt wurde, in englischer Sprache. Auf der Seite von Amazingy (einem online-Shop für Naturkometik) findet ihr es in deutscher Sprache.
3. Geschichten erzählen und Bloggen für das irdische Überleben
Meine dritte Empfehlung ist der Post „Donna Haraway erzählt Geschichten“ gepostet von Helga auf dem Gemeinschaftsblog femgeeks. Der Beitrag gibt Einblick in den Dokumentarfilm „Donna Haraway: Story Telling for Earthly Survival“ (2016), der kürzlich auf dem Internationalen Frauen Film Fest (IFFF) in Dortmund und Köln (bzw. online) zu sehen war. Auch ich habe den Film erst kürzlich gesehen und war begeistert von diesem wunderbar experimentellen, klugen, berührenden und humorvollen Porträt einer der „Ikonen“ der feminist Science and Technology Studies (feministischen Wissenschafts- und Technnikforschung) und ihrer „fellow companions“ (z.B. Hunde, Bäume und Quallen;).
Helga beschreibt den Inhalt des Films u.a. wie folgt: Nach einer Einführung zur Geschichte der Kiefernorthopädie und der Wissenschaft/dem Mythos vom „perfekten Gebiss“ „(…) hält Haraway quasi weitere ‚Mini-Vorlesungen‘ zu unterschiedlichen Themen rund um Menschen, Tiere und das Geschichtenerzählen: Wie Sprachlosigkeit zu neuen Gedanken und Worten führen kann. Wie unser derzeitiges Leben auf der Erde durch die Klimakrise bedroht ist. Den Möglichkeiten und Dringlichkeiten, aus dem Kapitalismus zu entkommen. Und schließlich der Abkehr von der heterosexuellen Ehe als einzigem Familienmodell, hin zu vielfältigen Lebensentwürfen. Eingerahmt werden die Vorträge von Bildern ihres Hauses und Garten und älteren Aufnahmen von ihr und ihrer Familie aus ihrem Partner, ihrem Ex-Mann und dem Partner des Ex-Mannes.“
Im Schreiben und Denken Haraways ist das Rekonstruieren und Erzählen von Geschichte(n) zentral, so beschäftigt sie sich im Cyborg Manifest (1985) nicht nur mit Technik-und Wissenschaftsgeschichte, sie nimmt dort auch Bezug auf feministische Science Fiction. Im Film erläutert sie das damit verbundene Konzept des „storying otherwise“ (anders/andere Geschichten erzählen) und schon im Cyborg-Manifest schrieb sie: „Schreiben ist eine der bedeutendsten Technologien der Cyborgs“.
Lest in Helgas Beitrag „Donna Haraway erzählt Geschichten“ mehr über den Film. Wenn ihr ihn anschauen wollt: er kann er für € 10,00 auf Vimeo käuflich erworben werden – oder vielleicht findet er sich ja auch in der Bibliothek oder Videothek deines_eures Vertrauens.
Und by the way: im Film spielen nicht nur das Geschichtenerzählen und Schreiben sowie Menschen, Tiere und andere Lebewesen auf Kohlenstoffbasis (Bechdel) eine wichtige Rolle, sondern auch ein Computer und ein Drucker und ein Zimmer (für sich allein) sowie ‚shared spaces‘ als gemeinsame Arbeits-, Lebens-, Liebens- und Begehrens- Räume.
Neuentdeckung
Eine weitere Neuentdeckung und im wahrsten Sinne des Wortes eine ENTDECKUNG war für mich der Blog Der Hase im Pfeffer von Ulla Scharfenberg. Hier gibt es jede Woche einen pointierten und politisch positionierten Wochenrückblick aus feministischer Perspektive und eine coole Illustration aus der „Feder“ der Bloggerin herself. Die Beiträge lesen sich super gut und sind – angesichts der Unmengen an Informationen, mit denen wir täglich konfrontiert sind – eine super Hilfestellung, wichtige „news“ mitzubekommen, die evtl. im eigenen Medien-Filter- und Fokussierungs-System hinten runter gefallen sind. So habe ich Dank Ulla und dem Hasen im Pfeffer z.B. mitbekommen, dass in meiner Nachbarschaft hier in Kreuzberg eine Straße nach Audre Lorde benannt wird, worüber ich mich sehr freue! Außerdem verlinken die Wochenrückblicke auf spannende weitere Ressourcen. So finden sich z.B. im Rückblick auf die #KW24 u.a. Informationen und Links zum Mord an Deniz Poyraz, zu #Metoo im Deutschrap und zu Ungarn als „queerfeindlichem Schurkenstaat“.
In eigener Sache – über das feministische Bloggen feministisch bloggen …
Vielleicht ist es euch schon aufgefallen: ich habe mein Konzept der Blogschau verändert und werde ab jetzt immer drei Blogpost-Empfehlungen plus eine Neuentdeckung aus den letzten zwei Monaten geben. Das hat mit meinen zeitlichen Ressourcen und mit der Weiterentwicklung des Forschungsprojekts zu tun. Während ich bisher viel auf und in den feministischen Blogs unterwegs war und mir und euch einen breiteren Überblick auf die dort verhandelten Themen und Fragen geben wollte, wird ab jetzt die Interviewstudie mit feministischen Blogger*innen den Schwerpunkt meiner Arbeit bilden. Ende des Jahres wird hier dann die letzte Blogschau veröffentlicht, und ab Januar 2022 starte ich in den Endspurt des Projekts, d.h. in die Auswertung des Materials und in den (wissenschaftlichen;) Schreibprozess.
Last but not least:
Vielen Dank für euer Interesse!
Eure Feedbacks sind wie immer herzlich willkommen;)
Und @ Emma Sosa Moreno: Gracias amiga!
Tausend Dank für die Illustration zu diesem Blog!