Hier findet ihr lyrische, literarische und biografische Texte über das Da-sein, das Unterwegs-Sein, das Eine-Andere- bzw. Woanders-Sein bzw. Mehrere-gleichzeitig-Sein oder über das Mutter-Sein und Ableismus (Behindertenfeindlichkeit).
Diese Blogs und Posts kann ich in diesem Monat empfehlen:
Auf Kaiserinnenreich fragen Bárbara, Jasmin und Eszter: „Wie sieht Mutterschaft aus, wenn ein Kind (oder mehrere) eine Behinderung hat?“ In ihren Texten geben sie ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage, beleuchten unterschiedliche Facetten und schreiben Blogposts aus ihrem Alltag als „(…) Mütter von insgesamt sieben Kindern. (…). (Sie schreiben) Mit Liebe und Ehrlichkeit. Mit Schweiß und Müdigkeit. Mit existenziellen Fragen und Bedürfnis von Unterstützung. Mit schönen und erfüllenden Momenten. Mit Wut und Dringlichkeit. Mit der Musik von der Warteschlange der Hotlines der Krankenkassen als Ohrwurm. Und oft auch mit einem politischen Blick.“ Sie schreiben über Ableismus, Care-Arbeit, Liebe und vieles mehr…
Im Blog Performanze gibt Leah Carola Czollek berührende und inspirierende lyrisch-poetische Einblicke ins Leben (und Schreiben). In der Rubrik „Morgen Splittern“ veröffentlicht sie Kompositionen aus Haikus und Fotografien. Dieses Haiku/Gedicht vom „Laufen lernen“ ist zur Zeit mein „Favourite“.
Außerdem empfehle ich euch, unbedingt auch die Widmung des Blogs zu lesen!
Wie ihr (vielleicht) schon wisst, bin ich ja auch ein Fan von Sabine de Martin und ihren (fantastischen) Geschichten – die ich mir übrigens gerne von der qonda Schriftstellerin (als Audiodateien auf dem Blog) vorlesen lasse;). Besonders angetan hat es mir diesmal der Text „Außerplanmäßig“, in dem die Ich-Erzählerin ihrem anderen Selbst, bzw. einer zweiten Version von sich selbst, begegnet und sich in dieses Parallel-leben hinein begibt bzw. schreibt. Kennt ihr das auch, dieses Gefühl, dass ein Leben nicht ausreicht für alles das, was ihr gerne machen wollt oder dass ihr denkt: „Hätte ich mich damals doch anders entschieden…“ In „Außerplanmäßig“ geht es um diese Fragen. Die Geschichte hat mich überrascht, erfreut, zum Nachdenken gebracht und sehr berührt.
Frauen*feindlichkeit in der Literaturkritik und im Journalismus
Zum Todestag von Virginia Woolf veröffentlicht Nicole Seifert auf ihrem Nacht & Tag-Blog einen Post über die verschiedenen Bilder von Virginia Woolf, die unseren Blick auf die „Ikone“ und „wohl größte Autorin der literarischen Moderne“ bis heute prägen. Dabei geht es sowohl um das Schreiben Virginia Woolfs als auch um das, was andere über sie geschrieben haben – und u.a. um die Frage, wie das psychische Leiden der Autorin dabei dargestellt/interpretiert und gewichtet wurde. Zwar verwendet Seifert einen längst überkommenen Begriff zur Benennung von psychischem Leiden und nicht-Norm-konformem Verhalten, (der in der Literaturwissenschaft und -kritik scheinbar noch gebräuchlich ist?). Auch wenn diese Begriffsverwendung mich beim Lesen gestört hat, fand ich den Text insgesamt sehr erhellend und lesenswert und möchte ihn deshalb auch hier empfehlen.
Ein Text, den ich euch unbedingt und wärmstens zur Lektüre empfehle, ist Nicole Seiferts Analyse zu Misogynie in der Literaturkritik. Seifert beschreibt und analysiert darin– an aktuellen Beispielen – sehr gut nachvollziehbar und eindrücklich, wie sich Frauen*feindlichkeit in der Literaturkritik äußert und welche Folgen es für die kritisierten Autorinnen* haben kann. Sie schreibt z.B.:
„Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, pauschal zu behaupten, die Rezensionen hätten positiv ausfallen müssen. Natürlich dürfen Romane verrissen werden, auch die von Frauen. Es geht darum, dabei Persönliches und Ästhetisches nicht derart zu vermengen und dabei frauenfeindliche Klischees zu reproduzieren. Es geht darum, dass die Auseinandersetzung zu oft nicht angemessen ist, weil die Kritiker Traditionen weiblichen Schreibens nicht kennen, weil sie ihre LeGuin und ihre Atwood nicht gelesen haben, weil sie sich mit diesen Themen und Formen nicht beschäftigen. Es geht darum, dass Kritiker, die oberflächlich aburteilen und verärgert persönliche Verrisse produzieren, ihre Arbeit nicht tun.“ Also, bitte unbedingt hier weiterlesen.
Wie sich Misogynie aktuell im Journalismus zeigt arbeitet Franziska Schutzbach unter dem Titel „Frauen werden auf ihre Plätze verwiesen“ – anhand eines Artikels von Ronnie Grob im Schweizer Magazin Monat – heraus. Es ist ziemlich erschütternd, was da deutlich wird, aber gerade deshalb sei auch dieser Blogpost unbedingt empfohlen.
Ähnlich wie wir es schon von der Strategie Rainer Meyers (Don Alphonso) kennen , macht Schutzbach deutlich: „Man muss keine Gesetze brechen, um Hass zu schüren. Ronnie Grob macht vor, wie diskursive frauenfeindliche Gewalt funktioniert, ohne justiziable Formulierungen zu benutzen. Er wendet eine klassische rhetorische Strategie an: Im Mäntelchen von Freiheitsidealen breitet er Frauenfeindlichkeit aus.“
In einem zweiten Text auf ihrem Blog beschäftigt Schutzbach sich mit rechten Diskursstrategien am Beispiel des Satiremagazins „Nebelspalter“. Sie schreibt: „Mit dem Bekenntnis zum Pluralismus wird inhaltliche Kritik schier unmöglich. Mit der Inszenierung von Meinungsvielfalt kann es keine Abgrenzung mehr geben, keine klare Benennung von menschenverachtenden Positionen, denn alles darf doch zum Meinungspluralismus gehören! Da geht es, so die Botschaft, nicht um links und rechts, sondern – eben – halt um eine Meinung! Und, jetzt neu, ist diese Meinung ein Witz, also sogar nur als Witz gemeint! Ab sofort können jene, die kritisieren, sich an Inhalten stossen, nicht nur als Feinde der freien Meinung und der Demokratie diskreditiert werden, sondern auch noch als unwitzig und humorlos.„
Antisemitismus & Rassismus, Ausschlüsse und Transformationen hin zu mehr Diversität in Poesie und Literaturbetrieb
In Ihrer Missy-Kolumne schreibt Debora Antmann über antisemitischen Äußerungen im literarischen Quartett und darüber, wie auch in linkem (Medien-)Aktivismus Jüd*innen und ihre Arbeit unsichtbar gemacht werden: „Are you fucking kdding me?„
Und by the way: ein kurzes Statement von Max Czollek zu antisemitischen Positionen im ZDF, SFR und auf FAZ-Net findet ihr auf Twitter.
Am 13. April wurde die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse veröffentlicht. Kurz darauf formulierte eine Gruppe von Autor*innen, Journalist*innen, Kunst- und Kulturschaffenden und Wissenschaftler*innen ihre Kritik an dieser Shortlist, auf der kein Buch einer nicht-weißen Person zu finden ist. Den offenen Brief, der ein Plädoyer für mehr Diversität im Literaturbetrieb ist und zugleich konkrete Vorschläge dafür liefert, wie eine Literatur/Kultur befördert werden kann, „in der eine Vielheit an Stimmen und Perspektiven Normalität ist“, findet sich hier.
Die Unterzeichnerinnen schreiben u.a.:
„Alle (auf der Shortlist) Genannten sind hochverdiente Autor:innen und Übersetzer:innen. Jede:r Einzelne wäre ein:e würdige:r Preisträger:in.
Unter den Nominierten befinden sich jedoch keine Schwarzen Autor:innen und Autor:innen of Colour. Dabei hätte es gerade in diesem Frühjahr genug Auswahl gegeben an Autor:innen, die bereits öffentliche Anerkennung und Auszeichnungen erhalten haben.
Wir finden die Entscheidung der Jury problematisch. Aber es ist nicht unsere Absicht, ihre Mitglieder zu attackieren. Vielmehr wollen wir ihre Entscheidung zum Anlass nehmen, eine Diskussion zu führen, die in unseren Augen längst überfällig ist: Über institutionelle Strukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft, die nicht immer für alle wahrnehmbar sind, aber dennoch immer wirken. Auch im Literaturbetrieb.“
Masha Beketova gibt auf dem genderblog des Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin Einblick in ihr Seminar „Poetiken der Ausschlüsse: Gender, Zugehörigkeit, Zeit und Körper in der Lyrik“ vom Wintersemester 2020/21. Allen, die sich für diskriminierungskritisches und diversitätsbewusstes (Kreativem) Schreiben interessieren, kann ich Beketovas Anregungen und Überlegungen unbedingt zur Lektüre empfehlen. Hier eine kleine „Kostprobe“:
„Im Zentrum des Seminars stand die Frage danach, ob in den Texten mehrfachpositionierter Autor_innen sich eine spezifische Poetik identifizieren lässt. Können wir von einer spezifischen Poetik der Ausschlüsse sprechen? Wodurch zeichnen sich lyrische Texte, die von Diskriminierung handeln, sprachlich aus? Wie gehen unterschiedliche Autor_innen mit den Erfahrungen der Nicht-Zugehörigkeit um? Wie werden die Fragen der kollektiven und individuellen Identität in Texten der zeitgenössischen Lyrik verhandelt? Was macht Übersetzung mit unserer Wahrnehmung ‚fremdsprachlicher‘ Dichtung? Was hat Translingualität mit postmigrantischen Gesellschaften zu tun? Gemeinsam mit einer biographisch und disziplinär diversen BA-Studierendengruppe haben wir uns auf die Suche nach Antworten begeben.“
Gendergerechte Sprache
In ihren Posts vom 12. und 26.4. denkt Kirsten Alers darüber nach, warum die Debatte um gendergerechte Sprache so vehement geführt wird und bringt viele gute Argumente für eine Sprache, die die Vielfalt der Geschlechter einschließt und spiegelt. Sie schreibt, zum Besipiel:
„Sprache scheint nur in Stein gemeißelt, sie hat sich entwickelt, sie wandelt sich täglich, sie wird sich immer verändern – Sprache muss ein dynamisches Gebilde sein. Begriffe, Wahrnehmungen und gesellschaftlicher Wandel stehen in dialektischem Verhältnis zueinander.
Es ist tatsächlich doch lustvoll, genau hinzuschauen und genau zu benennen – wenn auch nicht immer unanstrengend, sich irritieren zu lassen, sich in der ach so heimeligen So-war-es-doch-schon-immer-Einfriedung stören zu lassen.“
Wie „diverses Schreiben und gendergerechtes Sprechen“ ganz konkret aussehen kann – dafür liefern Lann Hornscheidt und Ja’n Sammla in ihrem „Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache“ (erschieben bei w_orten & meer 2021) viele super Anregungen. Katia Simon aka die Bücherprinzessin hat das Buch auf ihrem Blog rezensiert und kommt zu dem Schluss: „Besonders hilfreich finde ich die praxisorientierten Kapitel über Alltagskommunikation, über berufliche und offizielle Kommunikation und die vielen Beispiele genderfrei, genderdivers und genderinklusiv zu formulieren.“
Buchempfehlungen & Linktipps
„Wie bist du eigentlich zum Schreiben gekommen?“, habe ich kürzlich meine Freundin gefragt, die als Journalistin jeden Tag mit Texten und dem Schreiben zu tun hat. „Über das Lesen!“ war ihre Antwort. „Ich habe schon als Kind sehr gerne gelesen, da wollte ich auch selber schreiben.“
Weil das Lesen so inspirierend sein kann, hier noch ein paar Links zu Blogposts mit spannenden Buchempfehlungen und Rezensionen:
In der Rubrik „Lesen“ auf dem Gemeinschaftsblog Beziehungsweise Weiterdenken empfiehlt z.B. Anne Lehnert die Re-Lektüre von Nicht Mangel, sondern Fülle. Arbeiten neu denken von Dorothee Markert und denkt dabei über’s Arbeiten, über Begehren und Wohlbehagen nach. Heike Brunner weckt zum 150. Jahrestag der Pariser Kommune die Neugierde auf Louise Michel, eine der wichtigsten Kämpferinnen der Kommune, indem sie Einblicke in das Buch Louise Michel oder: Die Liebe zur Revolution von Florence Hervé gibt.
Katia Simon bloggt als Bücherprinzessin lässt uns jeden Monat teilhaben an ihren Leseeindrücken von Fiction & Sachbüchern – eine tolle Ressource, finde ich.
Auf dem Nacht & Tag Blog von Nicole Seifert findet ihr selbstredend auch coole Buchempfehlungen: kurz und knapp Bücherfrühling 2021
Falls ihr gerne Fiction in English lest und dabei auch über den west-und weiß-zentrierten Tellerrand hinaus schauen möchtet, solltet ihr die englischsprachigen Literatur-Tipps von Charlott Schönwetter auf „Have you read“ lesen und am besten direkt abonnieren.
Diese drei Sammelbände mit autobiografischen Texten, die vom International Women* Space herausgegeben werden, möchte ich euch auch ans Herz legen:
In „Als ich nach Deutschland kam“ berichten unterschiedlichste Frauen* von ihrem Ankommen und Leben in Deutschland: „Die Frauen sind Geflüchtete, Migrantinnen, Afrodeutsche, Deutsche of Colour, Illegalisierte, Arbeiterinnen, Akademikerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen. Sie sind als sogenannte Gastarbeiterinnen in die BRD, als Vertragsarbeiterinnen in die DDR, als Geflüchtete und Migrantinnen in die BRD, in die DDR oder in das wiedervereinte Deutschland gekommen oder in zweiter Generation hier geboren. Persönlich und radikal geben sie Einblicke in ihre Biografien, ihre Communities und ihre solidarischen Zusammenschlüsse. Ihre Erfolge und ihr Widerstand weisen den Weg für den gemeinsamen feministischen Kampf, der vor uns liegt.“
Das Buch „UNS GIBT ES, WIR SIND HIER enthält acht Geschichten. Geschichten, die wütend machen und entmutigen, aber genauso Geschichten, die ermächtigen und aufbauen. Geschichten über die Erfahrungen von Frauen, die in Libyen Opfer von Menschenhandel und zur Prostitution gezwungen wurden; von Flucht vor staatlicher und gesellschaftlicher Unterdrückung in Ägypten, Syrien und dem Iran; von Verfolgung auf Grund von akademischem Aktivismus in der Türkei oder auf Grund von Drogenabhängigkeit in Russland; Frauen, die ihres Rechts auf Selbstbestimmung beraubt wurden; Frauen, die sich der Abschiebung widersetzt haben und täglich gegen Rassismus und rassistische Strukturen in Deutschland kämpfen.“
Der Sammelband „IN UNSEREN EIGENEN WORTEN dokumentiert die Lebensgeschichten von Frauen, die gegen schwierige Realitäten gekämpft haben. Das Buch enthält Texte von und über Frauen und beinhaltet Testimonials von geflüchteten Frauen in Deutschland. Wir näherten uns dem Projekt mit Hilfe der lateinamerikanischen Tradition der Testimonial-Literatur an – mit dem Augenmerk darauf, die Stimme derer zu verstärken, die allzu oft nicht gehört werden. Wir sind sicher, das wird uns alle in unserem Kampf für Emanzipation inspirieren.“